Aufgewacht in einer Stadt, die niemals schläft.
Der Jetlag hängt uns noch in den Knochen, doch trotzdem taten die paar Stunden Schlaf gut. Die ersten Eindrücke sind verarbeitet und langsam realisieren wir, wo wir wirklich sind. In New York. In Amerika. Für mich das erste Mal außerhalb Europas. Und alles wirkt so echt, so unecht, so anders, so gewohnt.
Nicht nur heute werde ich mich wie im Film fühlen. Auch im weiteren Verlauf der Reise werde ich mich so fühlen. Doch dazu später – an anderen Orten der Reise – mehr. Alles wirkt so bekannt, aber zugleich unbekannt. Manches kennt man aus dem Fernsehen, doch man sieht nur einen Ausschnitt. Das, was noch weiter drumherum ist, das sieht man so nicht. Das sieht man nur in der Realität. Und genau dort befinden wir uns jetzt.
Mitten in Manhattan, bereit die Stadt zu erkunden. Nachdem wir zuvor schon festgestellt haben, dass wir nicht unendlich viel Zeit für New York haben, steht der Plan für heute teilweise: durch die Stadt streunen und – wenn alles klappt – Grand Central Station sehen, dem 9/11 Memorial einen Besuch abstatten sowie die Brooklyn Bridge überqueren. Was sonst noch so passiert oder wo wir landen sollten, das wollten wir dem Zufall überlassen. Und so laufen wir nun also, mit einem groben Plan im Kopf, durch die Avenues und Streets, erst einmal in Richtung Grand Central Station.
Grand Central Station – eine reale Filmkulisse
Vorbei an Hotels, Banken, Firmen, Unternehmen, vielen Taxen, kleinen Geschäften und vor allem vorbei an kleineren Hochhäusern führt uns der Weg. Viel Glas dominiert die Architektur und setzt ein Zeichen für die Moderne. Doch hin und wieder finden sich klassische Gebäude und Hochhäuser im Stadtbild. Eines dieser Klassiker ist das Grand Central Terminal – nicht nur als Bahnhof bekannt, sondern auch als eigene Sehenswürdigkeit.
Mittelpunkt des Bahnhofs ist die große Haupthalle, die bereits in vielen Filmen zu sehen war. Hierzu zählen zum Beispiel “Madagaskar”, “I Am Legend” oder “The Avengers”. Über Treppen an den Enden kann man auf einen umlaufenden Balkon laufen und von hier aus bequem dem Treiben zuschauen. Jeden Tag passieren über 500.000 Menschen das Grand Central Terminal. Faszinierend, oder?
Alleine schon die Deckenhöhe (40 Meter) mit dem astrologischen Wandbild ist ein Traum, sowohl von der Gestaltung als von der Imposanz. Klein und unbedeutend stehen wir auf dem Balkon und blicken durch die Halle. Wir sind beeindruckt von der Größe, aber auch von der Schönheit. Wie in einem Ameisenhaufen laufen Pendler und Reisende durch die Halle, stoppen an den Fahrplänen oder reihen sich in die Schlange am Infoschalter ein.
Ein paar Minuten lang beobachten wir das Treiben noch, dann werden wir selber Teil der New Yorker Geschichte und begeben uns auf die Suche nach unserem Bahnsteig. Mit der Metro geht es südwärts zur Wall Street, in die Nähe des One World Trade Centers. Ungewohnt: Die Tickets werden hier vor dem Betreten des Bahnsteiges gekauft. Ohne Ticket kann man das Drehkreuz zur Metro gar nicht erst durchqueren. Andere Länder, andere Sitten – aber genau das ist ja das tolle an Reisen: man erlebt andere Kulturen. Egal in welcher Hinsicht – auch wenn es manchmal nur Banalitäten sind wie U-Bahn fahren.
Lower Manhattan wirkt wie ein Kontrast – unten, in den Straßen, herrscht wie in ganz New York viel Verkehr. Taxen, Lieferwagen, private Autos. Aber nicht irgendwelche Autos, nein, ganz andere als aus Deutschland gewöhnt. Typisch amerikanisch eben – groß, bullig und mächtig. Auch die Geschäfte reihen sich hier ein: ich bin ein Fan von diesem Stil. Diese – wie ich finde – auf uns etwas retro wirkenden Schriftarten, dazu überall der spürbare Patriotismus mit Stars and Stripes. Weiter oben, in Richtung Gipfel der Wolkenkratzer, hingegen viel Glas und nur noch ganz wenig Backstein. Dieser Wechsel von Moderne und Klassik, von neuen Hochhäusern und denen mit Geschichte, das ist für mich das, was New York ausmacht.
Nicht nur in architektonischer Hinsicht – auch im Lebensgefühl. Diese Mischung, egal ob man an Kulinarik, Design oder andere Dinge denkt. Jeder kann seine Idee verwirklichen, sein Leben leben, vom Tellerwäscher zum Millionär werden. Viel mehr noch – jeder kann den “American Dream” leben.
Emotionale Momente an der 180 Greenwich Street
Dienstag, 11. September 2001 – fast jeder weiß noch genau, was er an diesem Tag getan hat. Knapp 17 Jahre nach den verheerenden Anschlägen (u.a.) auf das World Trade Center stehen wir nun dort, wo damals die Zwillingstürme gestanden haben. Vor uns die beiden Wasserbecken, an deren Umrahmung die Namen der Opfer der Terroranschläge stehen, nebenan das neu errichtete One World Trade Center.
Nachdem wir eben noch durch die Straßen gelaufen sind und die Ergebnisse des American Dreams gesehen haben, stehen wir nun an einem geschichtsträchtigen Ort der neueren amerikanischen Geschichte. Wie so oft im Leben liegen die Kontraste teilweise nah beieinander. Auf der einen Seite die aufstrebenden Hochhäuser der internationalen Firmen und Unternehmen, hier vor uns ein stiller Ort im sonst so turbulenten New York.
Ein krasser Schnitt. Emotional. Es herrscht größtenteils andächtige Stille. Fotos werden gemacht, auch mit lächelnden Gesichtern. Aber es ist ein anderes Lächeln als man es von Sehenswürdigkeiten einer Stadt kennt. Auch wenn ich an jenem Tag erst 13 Jahre alt war – dennoch bin ich von der jetzigen Atmosphäre gerührt. Ohne jemanden verloren zu haben, den ich kannte. Ohne bislang eine Verbindung hierhin gehabt zu haben.
Nicht nur die Größe der Becken ist beeindruckend – auch die Anzahl der Namen auf der Umrahmung der jeweiligen Becken. Erst jetzt begreift man, wie viele Menschen damals wirklich ums Leben gekommen sind. Zahlen sind Schall und Rauch, aber hier kann man die Länge der Becken vor sich sehen und die Länge begreifen.
Ab und zu findet sich ein Name, in dem eine weiße Rose steckt. Sie ist das Zeichen dafür, dass diese Person an jenem Tag Geburtstag hat. Emotionen pur. Stille in einer Stadt, die sonst nie schläft.
Ein emotionaler Besuch. In Gedanken und still schlendern wir unter den Blättern der Amerikanischen Weißeiche hindurch. Nur wenige Meter weiter kehren die Feuerwehrmänner von einem Einsatz wieder und parken ihr Fahrzeug – fast schon symbolträchtig – in direkter Nähe zum Südbecken. Momentaufnahme einer Großstadt.
Über die Liberty Street und den berühmten Broadway laufen wir indes weiter – ein paar Blöcke entfernt befindet sich das zwischen 1910 und 1913 erbaute Woolworth Building und der angrenzende City Hall Park. Von hier aus ist es ein Katzensprung zur Rampe, die auf die Fußgängerebene der Brooklyn Bridge führt.
Von Manhattan nach Brooklyn
Die Brooklyn Bridge ist für mich das kleine Highlight unserer New York Reise. Wie ein kleines Kind freue ich mich, die Brücke endlich betreten zu dürfen und von hier aus auf die Skyline von Manhattan, über den East River und auf Brooklyn schauen zu können.
Man spürt förmlich die Offenheit. Der Wind ist frischer, es ist gefühlt kälter als noch zuvor in den Häuserschluchten. Auch der blaue Himmel hat sich inzwischen hinter Wolken versteckt. Nur mit viel Mühe schaffen es einzelne Sonnenstrahlen noch durch die Wolkendecke, zum Aufwärmen reicht es allerdings kaum.
Bleibt die Schönheit der Brücke. Mit ihren vielen Stahlkabeln, den Türmen aus Granit sowie der hölzernen Fuß- und Radfahrerspur ist sie ein moderner Klassiker. Stilvoll, klassisch, Sinnbild für New York. Tolle Blicke auf die Skyline, den Hafen, auf Brooklyn. Es ist ein wahrgewordener Traum für mich, für uns, über die zahlreichen Holzbohlen zu schreiten.
Ein weiterer Traum in diesen Tagen. Trotz Aufwachen in der Stadt, die niemals schläft. Ein Tagtraum namens Realität. Oder doch nur ein Film? Manchmal verschieben sich die Grenzen. Doch jetzt, wo ich hier im Dumbo stehe und auf die Hochhäuser auf der gegenüberliegenden Seite schaue, dann wird mir klar:
Wir sind im Hier und Jetzt. Mitten in New York. Am Anfang unserer Traumreise.
Now you’re in New York
These streets will make you feel brand new
Jay-Z ft. Alicia Keys – Empire State of Mind