Nysted, Dänemark.
Januar 2020.

Man merkt kaum, dass in diesem kleinen Ort etwas mehr als 1.300 Einwohner leben. Schon bei der Fahrt zum pittoresken Naturhafen sind die Straßen wie leergefegt. Sie sind schmal, am Straßenrand parken Autos und engen den Weg nochmals ein. Fast habe ich das Gefühl, in einer Einbahnstraße unterwegs zu sein, doch der entgegenkommende Volvo zeugt vom Gegenteil. Vor einem rot gestrichenen Haus lasse ich ihn passieren. Hier in der »Adelgade« sind die Häuser wahre Farbkleckse – rot, orange, gelb, blau gestrichen und mit roten Dachziegeln versehen heben sie sich deutlich vom grauen Himmel ab.


Die graue Stimmung setzt sich im Hafen fort. Unter unseren Füßen knirrscht der mittelgrobe Schotter, als wir über den Parkplatz schreiten. Wie ein von der Ostsee hereinkommendes Schiff bläst der kühle Wind die Hafeneinfahrt hinein. Treibholz, Müll und andere Überbleibsel vom Ufer sammeln sich in einer Ecke des Hafenbeckens. Es wirkt ungemütlich, obwohl das Umfeld des Hafens einen hübschen Eindruck macht. Vom sonst so sommerlich-maritimen Flair ist derzeit nicht viel zu sehen. Keine Stühle vor den Restaurants, die Minigolfbahn ist verwaist. Von den Einheimischen weit und breit keine Spur. Einzig der hölzerne Seehund wirkt wie ein fröhlicher Leuchtturm in dieser kalten Einsamkeit.

Seehundskunst

Nysted Havn

Im Wasser trotzen zahlreiche Holzstege den Wellen der Ostsee. Ein paar Boote tanzen auf und ab, ebenso wie etliche Enten, die sich im Hafenbecken treiben lassen. Die meisten Schiffe wurden jedoch bereits zum Ende der Saison an Land geholt und warten dort, fernab des Heimatelementes, auf ihren nächsten Frühling. Typisch nordisch präsentiert sich der Nysted Sejlklub: ein rotes Holzhaus, weiß eingefasste Fenster, dazu die dänische Flagge wild wehend am Fahnenmast. Auch hier herrscht derzeit Ruhe. Kein Segelschiff weit und breit, die Stege sind leer.

Winterzeit

Enten im Hafenbecken mit dem Clubhaus des Nysted Sejlklubs

Ein bisschen knarrt das Holz, als ich über die von Wind und Wetter gezeichneten Balken gehe. Neben mir schwappt die kühle Ostsee an die zwei kleinen Boote, dazu streicht mir der ebenso kalte Wind durchs Gesicht. Trotz Handschuhen spüre ich auch hier die Kälte, doch für ein paar Fotos muss ich noch durchhalten. Auch wenn die Stimmung noch so ungemütlich ist, ich mag das Flair, welches vom Hafen in Nysted ausgeht. Trotz aller Ungemütlichkeiten ist die Schönheit erkennbar. Während des Winters hat sich nur eine Art Schleier über die Küste gelegt, der mit Erwachen des bevorstehenden Frühlings bald schon wieder Vergangenheit sein wird.

Nordische Einsamkeit

Die knarrenden Holzbalken führen mich näher an das Schloss auf der gegenüberliegenden Hafenseite: Schloss Aalholm. Seit dem 13. Jahrhundert befindet es sich hier am Ende des Nysted Fjordes. Besichtigt werden kann es nicht. Privatbesitz. Wie es von innen aussieht und was es beherbergt bleibt ein Geheimnis. Eines sei verraten: bis vor wenigen Jahren beherbergte es noch eines der größten Automobil-Museen in Nordeuropa. Dann wurden alle Fahrzeuge versteigert. Gute acht Jahre ist das nun her. Was sich sonst noch so in seiner Geschichte verbirgt oder was sich hinter seinen dicken Mauern verbirgt ist unklar. Von außen wirkt es sehr gepflegt und keinesfalls verlassen.


Verlassen und leergefegt ist hingegen noch immer der Parkplatz. Noch immer steht unser Auto einsam auf dem Schotterparkplatz unweit des Wassers. Kein Sonnenstrahl, kein Stück blauer Himmel konnte sich in der Zwischenzeit durch die graue Wolkendecke kämpfen. Der Frühling und Heute waren noch weit entfernt, als wir in Marielyst, Gedser und hier in Nysted unterwegs waren.

Jetzt, als ich diese Zeilen hier schreibe, ist er da, der Frühling. Mittlerweile lacht die Sonne vom blauen Himmel herab, die Bienen fliegen eifrig durch die Natur und sorgen für ein prächtiges Farbenspiel an Bäumen und Pflanzen. An diesem eisigen Tag in Nysted habe ich mich nach der fröhlichen Wärme des Frühlings gesehnt. Jetzt ist er da.

Und der graue Schleier des Winters hat sich für die nächsten Monate wieder verzogen.

Here comes the sun
Here comes the sun
And I say, it’s all right
The Beatles – „Here comes the Sun“

Schloss Ålholm

Unweit des Hafens von Nysted

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