Die Fähre schaukelt sanft im Takt der Wellen auf und ab, als schließlich die dröhnenden Schiffsmotoren das ganze Konstrukt zum Wackeln bringen. Was für uns eine entspannte Fahrt zur berühmt-berüchtigten Gefängnisinsel Alcatraz ist, war für viele Straftäter der Aufbruch in eine unbequeme Zukunft. Heutzutage ist es ein kurzer Ausflug mit dem Wissen, am Ende des Tages wieder hier ankommen zu dürfen.

Schon nach wenigen Metern Fahrt erheben sich einige der bekanntesten Gebäude von San Francisco hinter den Mauern der hiesigen Piers empor. Salesforce Tower, Transamerica Pyramide, der Telegraph Hill mit dem Coit Tower – und nur wenig später zeigt sich auch der nördliche Teil der Stadt, bis sich schließlich die Golden Gate Bridge als letztes Wahrzeichen fernab von hier ausmachen lässt. An diesem sonnigen, aber leicht diesigem Tag, pflügt sich die Fähre nur wenig schaukelnd durch das kalte Wasser der Bucht von San Francisco. Schlimmer als die Wellen sind da die Fliegen, die sich hier überall tummeln und sich stets und ständig auf die Passagiere stürzen, welche jedoch mit Papierfächern bewaffnet sind, um die kleinen Plagegeister von sich fern zu halten.

Blick auf das Financial District

Der Blick auf die Stadt vom Wasser aus ist herrlich. Wie eine Kulisse erhebt sich die Stadt über der Wasserkante und zeigt deutlich die vielen kleinen Hügel, auf denen San Francisco gewachsen ist. Indes rückt – fast ohne es zu bemerken – auf der anderen Seite das felsige Eiland immer näher, bis die Fähre schließlich am Steg festmacht. Ein leichtes Ruckeln geht durch das Schiff und wenig später sind alle temporären Strafgefangenen auf Alcatraz gelandet. Hier teilt sich die Masse zunächst auf: ein Teil hetzt direkt durch bis zum Zellenblock und kann es scheinbar kaum erwarten, auf den Spuren von Al Capone, Frank Morris sowie John und Clarence Anglin zu wandeln. Der andere Teil lauscht den Ausführungen des diensthabenden Rangers vor dem Bookstore, bevor auch diese letztlich den Berg hinauf zum Höhepunkt der Insel erklimmen.

Piers of San Francisco

Willkommen auf Alcatraz

Willkommen auf Alcatraz

Steil hinauf geht es, vorbei an alten Gebäuden. Spannung liegt in der Luft. Wie wird es wohl sein, im legendären Zellentrakt auf den Spuren von berühmten Gefangenen zu wandeln? Wie war das Leben im Knast in der damaligen Zeit? War es wirklich so schwer, von der Insel abzuhauen? All diese Fragen werden in den nächsten Stunden beantwortet werden. Doch schon jetzt, auf dem Weg nach oben, bekommen wir einen Einblick auf das, was diesen Fels in der Brandung ausmacht: gefährliche Strömungen, eiskaltes Wasser, verlorene Abgeschiedenheit, stille Sehnsucht.

Blick vorbei am alten Officer's Club auf die Bucht

Blick vorbei am alten Officer’s Club auf die Bucht

Weg zum Zellentrakt

Weg zum Zellentrakt

Hinter Gittern

Das Leben in den Zellen auf Alcatraz war eine Herausforderung. Tagein, tagaus spielte sich das Leben auf wenigen Quadratmetern ab – wie hart und einsam das Leben in dieser Zeit gewesen ist, dazu vermittelt ein Audioguide authentische Eindrücke. Auf den Spuren eines Gefangenen geht es über Broadway, Times Square und Michigan Avenue durch das alte Zellengebäude. Man hat förmlich das Gefühl, ein Teil dieser Geschichte zu sein, ist Alcatraz doch kaum verändert seit der Schließung im Jahre 1963. Noch immer riecht es nach frischer Kälte, abgeplatzter Farbe und kühlem Stein. Ab und an findet der Wind aus der Bucht den Weg in die Zellentrakte und sorgt für Gänsehaut. Es fühlt sich fast unwirklich an, sich im ehemaligen Hochsicherheitsgefängnis frei bewegen zu können und damit etwas zu können, was damals nur die Wärter konnten.

Auch wenn die meisten Zellen karg und einsam sind, so findet man auch die eine oder andere Zelle, in der sich das Leben abspielt. Die Häftlinge konnten sich Bücher ausleihen, manche haben musiziert – und wieder andere haben Bilder gemalt mit Motiven, in denen sich ihre Sehnsüchte und Träume widerspiegeln: insbesondere der Traum von Freiheit und Weite.

Zelle auf Alcatraz

Zelle auf Alcatraz

Leben hinter Gittern

Leben hinter Gittern

Kantinenbereich

Kantinenbereich

So nah und doch so fern

Wie nah, aber doch zugleich auch fern diese Freiheit war, das konnten die Insassen beim kurzen Freigang sehen: scheinbar in greifbarer Nähe lag die Stadt mit seinen hügeligen Straßen. Doch dann war da wieder dieses Gitter vor den Türen und Fenstern, die stark bewaffneten Wärter und das eiskalte Wasser der Bucht von San Francisco, was den Häftlingen im Weg war – einfach alles, was den Mythos von “The Rock” ausmacht. Manchmal, so der Audioguide, trug der Wind freudige Musik und Gesprächsfetzen von Partys in den Yachtclubs entlang der Piers mit auf das kleine Eiland.

An diesem Tag hingegen dringt kaum ein Geräusch aus der Stadt herüber. Stattdessen trägt der Wind das sonore Dieselbrummen der Schiffe und Frachter aus der Bucht herüber, gelegentlich unterbrochen von umherkreisenden Helikoptern und den an- und abfliegenden Flugzeugen. Jetzt allerdings, während ich diese Zeilen schreibe, fällt mir auf: es gibt Parallelen. Hätten wir nicht die Tickets für die Überfahrt bei uns, dann ginge es uns nicht anders: die Freiheit scheint so nah zu sein, doch für uns so unerreichbar.

Wir wären ebenso Gefangene auf Alcatraz.

Über den Dächern von Alcatraz

Über den Dächern von Alcatraz

Blick über die Bucht von San Francisco von Alcatraz aus

Blick über die Bucht von San Francisco von Alcatraz aus

Financial District San Francisco

Financial District San Francisco


Honey, what you done, come from, escaping so fast?We’re from dungeons; AlcatrazIt’s nice to meet

Oliver Riot – Alcatraz