Während in Tusayan, Arizona, die Sonne noch von den umstehenden Bäumen halbwegs aufgehalten wird, scheint sie ein paar Meilen weiter schon ganz ungestört auf eines der berühmtesten Wahrzeichen der USA. Trotz der frühen Zeit sind die Parkplätze bereits Mangelware und es scheint, als seien die Wege am Grand Canyon übervoll. Doch so schlimm ist es letztlich gar nicht. Auf den Wegen verläuft sich hier so einiges, sodass die befürchtete Menge an Menschen kaum zu spüren ist. Zwar hat man auch nicht das Gefühl, dass man weit und breit der einzige in diesem Panorama ist, aber das braucht es hier auch nicht.
Über keine-Ahnung-wie-viele Meilen bis zur Nordseite schweift unser Blick am Mather Point. “Eigentlich sind es ja nur Steine…”, denke ich mir, als ich später wie die vielen anderen Besucher auf der nur – von gefühlt viel zu dünnen – Metallstreben geschützten Plattform oberhalb der steil abfallenden Felswand stehe – fast so, wie zuvor am Desert View Watchtower.
Diese “Steine” sorgen allerdings für ein ziemlich überwältigendes Gefühl. Beim Anblick spürt man die schiere und nahezu unvorstellbare Größe, Weite und Tiefe des Grand Canyons, der seinen Namen mit Recht trägt. Wohin man auch schaut, überall scheint es ein unbegreifliches Superlativ zu geben. Einzig die Bezugspunkte im näheren Umfeld sorgen für ein kleines Einschätzen der Distanzen, wenn diese auch nur wirklich marginal sind im Vergleich zu der Weite, die sich vor unseren Augen bietet.
Just in diesem Moment fühlt es sich unwissend an. Wie weit ist es bis unten, zum Colorado River? Wie weit bis hinüber auf die andere Seite des Canyons, die uns bereits zuvor am Mather Point ins Staunen versetzt hat? Es scheint, als seien unsere Sinne überfordert und können keine klaren Einschätzungen treffen, was die Ausmaße des Grand Canyons angeht. Ob das dieses Gefühl von Überwältigung ist?
Ein paar hundert Schritte entfernt von der gerade noch so beeindruckenden Landschaft befindet sich das Grand Canyon Village. Hier ist es lebhafter und voller, als es eben noch an der Klippe der Fall war. Mit Geschäften, Museen und Infozentren wirkt es wie ein ganz normaler Ort, nur voller Touristen und Besuchern. Nicht alle sind hierhin mit dem Auto oder dem Bus gekommen. Ein Anreisehighlight ist dabei sicherlich die Fahrt mit der Grand Canyon Railway ab Williams und dem Blockholzbahnhofsgebäude hier im Village.
Ein bisschen sehnen wir uns wieder nach den weiten Ausblicken über das Tal des Großen Canyons. Mit dem gut organisierten Shuttleservice ist es ein Kinderspiel, in wenigen Tagen viel zu sehen. Ein bisschen lassen wir uns entlang des Canyons fahren, bis hin zur Endstation Hermit’s Rest und wieder zurück. Hier scheint es fast so, als würde der Grand Canyon uns mit einem lachenden und einem weinenden Auge verabschieden wollen, als er uns inmitten des tiefen Tales einen schillernden Regenbogen präsentiert und damit einen denkwürdigen Moment beschert.
Einzig der eigene Kopf steht den vielen neuen Impressionen entgegen: die ganzen Eindrücke brauchen auch Zeit, um verarbeitet zu werden. Zu imposant ist das, was die Natur hier in Jahrmillionen hat entstehen lassen. Zu kurz die Zeit, zu viele Impressionen, die sich uns in den letzten Tagen hier gezeigt haben. Auch wenn es “nur Steine” sind, so üben sie in der Kombination mit den Aussichten, den weiten Blicken und Farbenspielen eine ganz eigene Faszination aus.
Eine Faszination, die es so nur hier gibt.
It’s the call of the canyon, maybe I will find you once more
Frank Sinatra – It’s The Call Of The Canyon